Donnerstag, 25. April 2013

eine tansanische Trauerfeier

Im Januar war die Beerdigung von einem meiner tansanischen Onkel. Bisher habe ich es noch nicht geschafft davon zu berichten, aber das möchte ich unbedingt noch nahholen, da es ein sehr besonderes Ereignis war. Zusammen mit der ganzen Familie fuhr ich dorthin, wo mein Vater und seine Geschwister aufgewachsen waren, ein kleines Dorf in den Bergen namens Tarakea.

Tarakea ist ein kleines Dorf, was an der Straße liegt, die einen der Berge rund um Moshi hochführt. Allerdings hört die geteerte Straße schon lange vor Tarakea auf und viele Endstationen sind auch sehr viel weiter unten am Berg angesiedelt. Nur ein Busunternehmen macht sich die Mühe bis dort oben raufzugurken. Jedenfalls gibt es dort ein paar kleine Dukas (Läden), vielleicht zwei Bars und einen kleinen Gemüse- und Kleidermarkt. Dafür hat man morgens und abends einen unbezahlbar schönen Blick auf den Kilimanjaro und man kann schön durch die Felder spazieren gehen.



unser Haus in Rombo

 
Insgesamt waren wir dort gemeinsam eine gute Woche und eigentlich glich das Ganze eher einem Familienurlaub als einer Trauerfeier. 
Die Kinder spielten zusammen in Babus (Großvaters) Maisfeldern, die Frauen trafen sich zum kochen und tratschen und die Männer begutachteten die Felder meines Babus und tranken gemeinsam Mbege (das ist der typische Alkohol der Chagga - der Stamm, dem meine Familie angehört. Mbege wird aus gegorenen Bananen und Getreide gemischt, mir schmeckt er nicht so gut).


Während die Tage bis hin zur Trauerfeier eher wie Ferien waren, war der Tag der Feier selber dafür besonders feierlich und natürlich auch traurig. War bisher noch nichts von Schmerz und Verlust zu spüren gewesen, so fingen meine Schwestern und Mama zwei Stunden vor Beginn der Feier schrecklich an zu weinen, regelrecht zu Schreien. Sie steigerten sich eineinhalb Stunden hinein in ihre Trauer und wollten gar nicht aufhören zu weinen. In der Zeit habe ich mich in mein Zimmer zurückgezogen, da es mir weder angemessen erschien mitzutrauern noch zu versuchen sie zu trösten.


Dort wurde der Sarg aufgestellt
Die Feier fand auf einer kleinen Lichtung zwischen Babus Feldern statt. Mein ältester Onkel hatte extra für die Beerdigung ein kleines Häuschen dort erbauen lassen, das nun dazu diente dem Toten seine letzte Ehre zu erweisen. Bevor man also Platz unter dem großen Baldachin nahm, der die Gäste vor der Sonne schützen sollte, gingen alle in einer langen Reihe an dem aufgebarten Toten in diesem Haus mit zwei Durchgängen vorbei. Es war das erste Mal in meinem Leben, das ich einen Toten gesehen habe und ich muss sagen, dass ich nicht darauf vorbereitet war. Als alle Platz genommen und der Pfarrer vorne auf einem Podest alle begrüßt hatte, trugen Baba und seine Brüder den Sarg nach draußen vor das Podest des Pfarrers. Ich habe meinen Baba noch nie so traurig erlebt, er hat sogar geweint! 

Um zu wissen, dass das etwas besonderes ist, dazu muss man sich natürlich die Stellung des tansanischen Manns vergegenwärtigen.
Er ist das Oberhaupt der Familie, hat im Endeffekt die Endscheidungsgewalt über alle familiären Belange und soll für  die ganze Familie sorgen. Er hat also die meiste Macht, wodurch aber auch immer eine gewisse Distanz gewahrt wird. z.B. essen meine Schwestern in einem anderen Zimmer, wenn Baba gleichzeitig isst. 

Meinen Vater also so traurig dort in der ersten Reihe sitzen zu sehen, dass ihm unkontrolliert die Tränen flossen, war wirklich sehr sehr anrührend und hat auch mich traurig gemacht, obwohl ich den Verstorbenen gar nicht kannte.
Ansonsten war die Feier schön, für meinen Geschmack hat der Priester ein wenig zu lang geredet, aber das gehört hier ja dazu, und leider hatte ich keinen Schattenplatz, sondern saß in der Sonne, weshalb ich mir auch einen kleinen Sonnenstich geholt habe. Das habe ich aber erst gemerkt, als der Sarg in das Grab gelassen wurde (ebenfalls auf der Lichtung, eingebettet von Bananenbäumen und Kaffeepflanzen. Sehr, sehr schön!), weil mir dort beim Warten darauf, dass ich wie jeder Gast eine Rose auf das Grab legen darf, schwindelig geworden ist und ich mich auf den Boden setzen musste. Das war mir ziemlich peinlich, aber im Nachhinein glaube ich, dass es nicht sonderlich aufgefallen ist. Wie schon so oft gesagt, als Weißer besitze ich hier Narrenfreiheit und gerade in Tarakea, wo viele noch nie 'live' einen Weißen gesehen haben und manche Babys angefangen haben zu weinen, wenn sie mich gesehen haben, hat es niemanden gewundert, dass ich auf dem Boden saß und mich komisch benahm - man hat bisher ja auch noch nie etwas Vernünftiges von diesen Wazungu gehört. Es ging dann auch wieder vorbei, ich konnte meine Rose ablegen und habe danach einen Schattenplatz bekommen.

Mit der Beisetzung war die offizielle Feier vorbei und jetzt passierte etwas Merkwürdiges: Auf einmal kamen wie aus dem Nichts Leute von einer Art Cateringfirma, bauten ihre Tische auf, verteilten Essen und Trinken und fingen an Musik abzuspielen. Und zwar nicht traurige oder langsame Musik, sondern dieselbe, die auch auf Hochzeiten gespielt wird (wie zB dieses Lied hier 'Utamu wa Yesu' http://www.youtube.com/watch?v=Rn9n1Lv1TlY ). 
Alle außer mir schienen das normal zu finden, manche tanzten, die meisten luden sich die Teller voll und begannen Mbege, Bier und Softdrinks zu trinken. Aus jeder vorher noch so traurigen Miene wurde ein fröhliches Lächeln. So haben Freunde und Verwandte des Verstorbenen bis spät in die Nacht für ihn gefeiert und es war ein wirklich schöner Tag!

Einige Sachen will ich jedoch noch extra erwähnen, die für mich besonders an diesen Tagen in Tarakea waren:

1. die verwirrenden Familienverhältnisse: Ich dachte immer, dass ich mit sieben Gastgeschwistern schon in einer kinderreichen Familie bin, doch das, was ich dort oben in Tarakea erlebt habe, war noch einmal eine ganz andere Größenordnung. Jeden Tag wurden mir mindestens eine neue Tante und ein neuer Onkel vorgestellt und auf die Frage wieviele Geschwister mein Vater eigentlich hat, konnte mir nie jemand antworten, es kam immer nur ein 'Puhh... Viele!!'. 
Auch ob diese Tanten und Onkel nun direkte Verwandte oder Angeheiratete waren, war sehr undurchsichtig und dass jede Mama mindestens auf drei verschiedene Namen hörte, machte die Sache auch nicht leichter. So wurde meine Mama zB Mama Justo (nach ihrem ältesten Sohn), Mama Madita (nach ihrer kleinsten Tochter), Mama Maria (ihr eigener Name), Shangazi und Mama Edwin (Babas Name) gerufen. Sehr verwirrend! Auch die Bezeichnungen für meine Onkel und Tanten musste ich erst lernen. Jeder Bruder der älter ist als Baba, wird Baba mkubwa (großer Baba), jeder Bruder der kleiner ist als Baba, wird Baba mdogo (kleiner Baba) genannt. Dementsprechend also auch Mama mkubwa und Mama mdogo für die Tanten, obwohl die teilweise auch Shangazi gerufen wurden (obwohl Shangazi auch eine Schwester der Schwiegersöhne oder eine Frau der Söhne sein kann).


zwei meiner ' Tanten'

Wie ihr seht, tatsächlich sehr verwirrend, und jemanden zu finden war manchmal wirklich nicht leicht! 
So habe ich auch drei Tage lang nach der Frau des Verstorbenen Ausschau gehalten, bis mir gesagt wurde, dass sie sich schon lange von meinem Onkel geschieden habe, nicht hier wäre und dementsprechend meine Bibi (Großmutter) die Haupttrauernde wäre, womit wir auch schon zu Punkt zwei kommen:

2. Bibi: Die Mutter meines Vaters ist schon sehr alt und inzwischen auf beiden Augen erblindet. Sie wohnt wie wir in Singida und wir besuchen sie manchmal abends, um mit ihr gemeinsam zu essen. Die Reise nach Tarakea, die für mich schon anstrengend war, muss für sie echt kräftezehrend gewesen sein!
Die ganze Familie hat sich rührend um ihr ältestes Familienmitglied gekümmert und sie wurde immerzu von Enkeln und (Schwieger-)Töchtern herumgeführt, um am sonnigsten Platz zu sitzen oder am interessantesten Gespräch teilzuhaben. Auch Mama hat mich pflichtschuldigst jeden Tag mit zu Bibi genommen, damit ich sie grüße und ihr mein Beileid bekunde. Was zu diesen Bekundungen auch gehört und mir besonders unangenehm war, ist, dass man der Trauernden Geld schenkt. Als Weiße einer blinden alten Frau vor ungefähr 40 Verwandten einen knallroten Schein (das ist hier das höchste: 10.000 Shilling = 5€)zu überreichen war mir total unangenehm, obwohl das hier normal ist. Ich war aber doch sehr gehemmt und hab Mama schließlich um Hilfe gebeten.

Außerdem hatte ich mit Bibi noch ein besonderes Erlebnis. Ein paar Tage vor der Feier stiegen Mama, Bibi, ein paar Tanten? und kurzerhand auch ich, da ich ja Mamas älteste Tochter bin, in ein Auto. Wie sooft mit Mama erfuhr ich erst unterwegs wohin wir eigentlich fuhren. Bibi wollte einen alten Schulfreund von dem inzwischen verstorbenen Babu besuchen. 
Dieser Schulfreund wohnte in einer Hütte, die komplett aus Lehm und Holz errichtet war. Natürlich habe ich solche Häuser hier schon gesehen, aber ich habe bis dahin noch nie jemanden kennengelernt, der so wohnt. Keine Elektrizität, nur sehr kleine Fenster und keine gestrichenen Wände, was die Zimmer unheimlich klein und düster macht. Das Zimmer von Bibis Gastgeber hatte auch keine richtige Tür, weswegen wir ihr und ihrem bettlägigen Freund von draußen bei ihrer Unterhaltung zusehen konnten. 
Da der alte Mann ziemlich krank war, sollten wir nicht alle auf einmal hinein, um ihn zu grüßen, deshalb wurden uns Stühle auf den Hof vor sein Zimmer gestellt. Ich habe zwar nichts von dem Gespräch der Zwei verstanden, da sie Kichagga gesprochen haben. Trotzdem war es ein beeindruckendes Bild, diese beiden alten Menschen, beide gestützt von einem jüngeren Familienmitglied, wie sie Geschichten von früher austauschten. 
Da ist mir, glaube ich, das erste Mal klar geworden wie anstrengend das Leben hier ist und dass ich das wahrscheinlich niemals wirklich nachempfinden kann. Egal, wie lange ich hier wäre, ich bleibe immer weiß und könnte mir Waschmaschinen und Strom jeden Tag leisten. Auch jetzt helfe ich zwar im Haushalt, aber das ist ja nicht das selbe, da ich es nicht MUSS. Ich kann es nur wiederholen, ich habe großen Respekt vor den Menschen hier! 
Ich wünschte, ich hätte ein Foto von Bibi, aber das habe ich mich irgendwie nicht getraut.

quasi ein Beweisfoto

3. Die Garderobe: Aus mir unerfindlichen Gründen hatten alle engen Familienmitglieder, und damit also auch ich, auf der Trauerfeier Kleidung an, die wir auf einer Hochzeit garantiert als unpassend eingestuft hätten. Alle anderen Gäste durften in schönen Kostümen und Anzügen kommen, aber wir hatten alle ein cremefarbenes Poloshirt mit blauem Kragen an, auf dessen rechter Brust das Gesicht des Toten aufgedruckt war. Des weiteren trugen wir Frauen einen Kitenge mit der Farbkombi Gelb-Lila-Blau, auf dem Maiskolben aufgedruckt waren. Das war schon sehr merkwürdig und wirklich wohl habe ich mich nicht gefühlt.




4. Fleisch: Ohja, ebenfalls SEHR SEHR einprägsam! Am einfachsten ist es wohl, das Foto für sich sprechen zu lassen. Ihr müsst nur wissen, dass a) ich diese Kuh noch lebendig gesehen habe (habe sie am Fell erkannt) und b) man jeden Tag verfolgen konnte, was heute im Eintopf war. Naja, andererseits - ich glaube nirgends ist Fleisch mehr Bio als hier und da eh alles entweder zerkocht oder fritiert wird, mache ich mir nicht mehr so viele Gedanken. Hat sogar ganz gut geschmeckt!



Eigentlich wollte ich diesen Artikel schon vor 5 Tagen veröffentlichen, aber dann gab es mal wieder ein Problem mit dem Internet und alles war wieder gelöscht. Aber dafür hatten wir schon seit über zwei Wochen keinen Stromausfall mehr!



1 Kommentar:

  1. ein sehr interessanter bericht und berührend - vor allem wie du die situation beschreibst, als die grossmutter ihren alten freund besucht.es ist sehr anschaulich von dir beschrieben - auch deine scham über die selbstverständlichkeit unseres (west)-europäischen lebens - und dieses gefühl kann ich gut verstehen, wenn ich lese was du geschrieben hast. ich finde das bild auch so anrührend - die beiden alten menschen im gespräch, gestützt von jüngeren.mama

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